http://elib.uni-stuttgart.de/opus/volltexte/2008/3604/
Eine Doktorarbeit von Heidemarie Bodemer aus dem Bereich Kunst- und Kulturgeschichte. 439 Seiten an Informationen über das europäische Fechtwesen der letzten Jahrhunderte. Sehr interessant und vielleicht sogar hilfreich ;).
Mit besten Grüßen
Ich finde es recht interessant zu lesen. Die Einleitung etwas trocken und mechanisch, was wohl dem Prinzip Dissertationsschrift zu verschulden ist. Der Inhalt ist aber recht gut. Man spürt die gute Recherche deutlich.
btw:
Zitat von: Seite 29 untenDie beste Positur im Fechten ist / so man haben kan /
wenn man die Füsse etwas weit von einander setzet / den Leib und Kopff zurückhält /
die beyden Knie beuget / auff diese Art kannstu auf deinen Füssen fest stehen / leichtlich stossen.
Das wiederspricht doch klar Michas Auffassung von der richtigen Haltung, wenn er sagt: "Hintern raus und Oberkörper leich nach vorn gebeugt."
Diese Aussage von Paschen ist ja nicht zwingend raum- und zeitübergreifend für alle Arten des Fechtens gültig, sondern spiegelt als eine Quelle zur Fechtgeschichte nur die Ansichten des Autors zum Fechten innerhalb eines bestimmten kultur- und zeitgeschichtlichen Kontextes (dem eher stoß- als hieblastigen, italienischem Einfluss unterworfenen Fechten mit einer Waffe, die wir heute gemeinhin als Rapier bezeichnen) wider.
Das Fechten mit einem eihändig geführten Rapier/Degen/Florett/etc. unterscheidet sich ja deutlich vom Fechten mit dem zweihändig geführten Langen Schwert. Da das Zitat von Johann Georg Paschen stammt, der 1667 publiziert hat, gehe ich davon aus, dass sich die geschilderte Positur auf das einhändige Fechten mit den genannten "Werkzeugen" bezieht ;).
Ich kann mir leider ein hämisches "HA-HA!" angesichts des abgeperlten Angriffs nicht verkneifen... ;-)
Aber ich muss Hannes da rechtgeben, das ist eindeutig eine Haltung aus dem Rapier. Macht ja auch Sinn dafür, ist für hieblastige Waffen und im Schlachtfeld aber nicht sonderlich geeignet.
Schöner Link, thx!
ja sachma, das war doch wohl kein Angriff, sondern eher ein gefundener Widerspruch, der in meinen Augen Klärung bedurfte. dammich.
Und die hat Jan ja auch geliefert. Mir war nicht klar, daß es massive Haltungsunterschiede zwischen Hiebschwertern und Stoßklingen geben soll. Der Grund, warum dieser Unterschied entstanden ist, erschließt sich mir auch nach wie vor nicht richtig. Wäre echt nett, wenn sich einer mal die Zeit nehmen können mir das nahe zu bringen.
In meinen Augen ist weniger die Waffenwirkung (Hieb oder Stich) für die Haltung entscheidend, sondern die Führungs- und Kampfesweise der Waffe.
Prinzipiell gilt ja im Kampf, dass die verfügbaren Kampfmittel (Hand, Schwert, Stock, Schild, ....) immer zum Gegner zeigen. Gleichzeit braucht man einen sicheren Stand, den man schnell verlassen kann. Man "versteckt" sich hinter der Waffe, um möglichst gute Trefferchancen zu haben und gleichzeitig gut geschützt zu sein. Damit fällt für jede zweihändig geführte Waffe der "Paschenstand" raus, da damit die Waffe nicht sicher und effektiv geführt werden kann. Für einhändige Waffen ist dieser Stand wiederum sehr gut geeignet, aber auch nur solang es sich um eine Duellsituation handelt und nicht um eine Schlachtsituation, wo sowieso alles drunter und drüber geht ;).
OK, und was ist der "Paschenstand"?
Dein Zitat hab ich kurzer Hand als "Paschenstand" getauft ;). So wie ich den verstehe, ähnelt der dem "klassischen" Fechterstand sehr.
@Captain: Nur die Ruhe, du weißt doch: Ich sprech fließend sarkastisch.. ;-)
Also ich seh das folgendermaßen (ohne wirklich viel Erfahrung mit Stoßwaffen und dem Paschen im allgemeinen zu haben): Bei einer einhändigen Waffen, speziell einer Stoßwaffe, macht es Sinn, den Körper in einer Linie auszurichten und möglichst wenig Trefferfläche zu stellen (vgl. die Stücke mit dem Dussack, obwohl Hiebwaffe). Da der Stoß ja immer nur direkt nach Vorne geht, und keine großen Scherkräfte auftreten ist diese lineare Ausrichtung (und so würde ich den "Paschenstand" auch sehen, wenn ich meinem Spiegel glauben darf ;-) ) ideal . Hinzu kommt noch, dass in dieser Periode das Ringen losgelöst vom Waffenkampf wurde, so dass sich die ganze Sache spezialisierte. Man musst mit dem Stand keine Wucht mehr fangen oder ausüben, sondern sehr beweglich in einer bestimmten Linie sein.
Bei zweihändigen Waffen ist dieser Stand der Körperdrehung wegen (beide Hände müssen ja vorne sein) nicht sehr sinnvoll.
Mit dem Stand ist das natürlich generell sone Sache. Ich kann leider keine authentischen Quellen für meine Version angeben, weil die nicht existieren in der Zeit, die wir maßgeblich untersuchen :-). Deshablb bediene ich mich da gerne bei den Ringern, weils bei denen eigentlich noch recht gut überliefert ist.
Daß die Ausrichtung auf den Gegner im Halbprofil (was der Jan vor einiger Zeit so treffend as "boxing stance" charakterisiert hat) fürs lange Schwert sinnvoll ist (schon fürs Auswinkeln und so) ist vollkommen unbestritten. Es ging mir ganz und gar um die Körperhaltung.
Wenn die vorgebeugte Haltung als Interpretation ausm Ringen und die aufrechte Haltung (hab ich an mehreren Stellen schon gelesen, allerdings alles Sekundärquellen) klar eine Interpretation aus dem späteren Stoßfechten darstellt, dann hilft mir das schonmal ganz gut bei der Einschätzung.
Btw.: fürs Kämpfen in Rüstung ist die vorgebeugte Haltung vermutlich eher nicht so gut (weil geht ganz ordentlich auf den Rücken). Nur gut, daß wir DAS eher nicht trainieren.
Zuvorderst möchte ich zu bedenken geben, das wir hier von einem Zeitraum von über 300 Jahren sprechen. Ein langer Zeitraum, in dem die Waffenkunst einigen Wandlungen unterworfen war.
Wir haben, wie Micha bereits gesagt hat, aus der Zeit des 15. Jhd. keine validen Quellen zum Stand, weder in Schrift noch in Bild (die Bilddarstellungen der damaligen Zeit sind aufgrund ikonografischer Darstellungsprämissen mit Vorsicht zu genießen). Die Ringerhaltung, wie Tomek und Piotr sie gezeigt haben, empfanden wir als eingängig und praktikabel, und wollten sie allen für das lange Schwert anheimstellen (manche haben ja auch schon länger oder von Beginn an auf die Art und Weise gefochten). Ob das jetzt auf ewig die ultima ratio sein wird, sei mal dahingestellt. Die Zeit wird zeigen, ob sich aus der praktischen Erprobung heraus bessere Lösungen ergeben, oder aber vielleicht auch neue Quellen aufgetan werden.
Zum "Stoßfechten" möchte ich mich nicht allzu ausführlich äußern (weil das sonst den Rahmen sprengen könnte 8-)), nur soviel: einhändig geführte Waffe, deswegen Waffenarm vorn; vorrangig Stich, aber je nach Schule und Meister auch Einsatz von Hieben; lineare Ausrichtung, um die eigene Trefferfläche klein zu halten (wenn man allerdings richtig getroffen wurde, dann eventuell gleich durch mehrere Organe); Ringen gab es auch noch mit Rapier/Degen, wenn auch bei weitem nicht mehr soviel wie mit Schwert/langem Messer u.ä. in früheren Jahrunderten.
Grüße,
Jan
@Captain
Ich denke, grade fürs Rüstfechten ist ne leicht gebeugte Haltung (Wenn auch natürlich nicht so extrem!) sinnvoll, da man den Schwerpunkt weiter nach unten kriegt. Und viele Techiken in der Rüstung beziehen sich ja aufs umwerfen/zu Boden-bringen des Gegners. Angesichts des hohen Gewichts einer Rüstung, dass den Schwerpunkt künstlich nach oben bringt halte ich das schon für praktikabel. Also ich hatte rückentechnisch da nie wirklich Probleme mit, da der Rücken an sich ja grade bleibt.
Und es mag nur mein persönlicher Eindruck sein, aber ich kann in dieser Haltung auch wesentlich besser aus den Beinen arbeiten.
Also bei mir isses schon ein Unterschied, ob ich "ein Stück in die Knie gehe" oder "mich nach vorne beuge". Vielleicht hab ich aber auch deine diesbezüglichen Erläuterungen bisher immer falsch verstanden.
Naja, ich meinte das nicht als einzelne Bewegungen/Stände. Der Körper hat ja mehrere Drehachsen, und wenn mann die alle stellt, dann kommt das raus was ich immer mache::
- Arsch raus (statt dem nach vorne beugen, damit bleit der Schwerpunkt über den Füßen und dem Rücken tuts nich weh)
- Rücken grade (an der Waffe, im Ringen leicht eingerollt)
- Spannung im Rumpf
- Knie leicht gebeugt (Schwerpunkt Richtung Boden)
- Füße etwa schulterbreit und versetzt
- Ellenbogen nah am Körper
Das Gilt aber auch nur fürs Lange Schwert und das Ringen, fürs lange Messer allein verändere ich meine Haltung auch etwas, dass geht das eher Richtung klassischem Fechterstand, mit einer Hand auf dem Rücken
Es sind ja auch nur Empfehlungen, denn die tatsächliche Manifestation eines Standes ist stark abhängig vom Körperbau des jeweiligen Fechters. Wichtig ist: schnell, stabil und sicher.
also Micha, wenn ich das jetzt richtig verstanden hab, hast du das beim Training immer ein bisschen überspitzt demonstriert? So des Anschauungseffektes wegen?
Also das mit dem "Hintern raus" überspitze ich gerne, weil dieser Bewegungsablauf den meisten Leuten extrem fremd zu sein scheint (zumindest hab ich den Eindruck, dasss viele Neulinge die grundlagen der Bewegung nicht so richtig intus haben... wir ziehen das falsche Klientel an ;-) )
So, und bevor jetzt empörte Aufschreie kommen: Auch das ist natürlich übertrieben. Es möge sich keiner auf den Schlips getreten fühlen :-)
ZitatAlso das mit dem "Hintern raus" überspitze ich gerne, weil dieser Bewegungsablauf den meisten Leuten extrem fremd zu sein scheint (zumindest hab ich den Eindruck, dasss viele Neulinge die grundlagen der Bewegung nicht so richtig intus haben... wir ziehen das falsche Klientel an wink )
... Heutzutage gibt es viele "Schieber", das heißt, Leute/Männer, die mit Becken vorraus laufen und sich bewegen. Das scheint die Körperhaltung unserer Zeit zu sein.
Zu den Haltungsproblemen kan ich nur sagen: Jeder so, wie es seiner individuellen Körpermechanik entspricht. Baulich sind wir als Menschen mehr oder weniger gleich, weshalb es sinnvoll ist, schwere Dinge wie lange Schwerter "auf breitere Schultern zu stellen" und in mehrere Hände zu legen. Macht hebeltechnisch einfach mehr Sinn. Habe ich dann eine eher magersüchtige Klinge in der Hand, kann ich mich taktischer stellen, weil es mit einer Hand geführt wenig Sinn macht, dienandere Körperhälfte quais nutzlos danebenzustellen...
Aber wem sage ich das, die Eulen sind doch längst in Athen.
Zitat von: Klaus-Peter in Juli 22, 2009, 08:28:58 VORMITTAG
... Heutzutage gibt es viele "Schieber", das heißt, Leute/Männer, die mit Becken vorraus laufen und sich bewegen. Das scheint die Körperhaltung unserer Zeit zu sein.
"They don't go, they fall forward and catch themselves" So in der Art hat sich schon mal jmd zum Thema Haltungsfehler in den westliche Industrienationen geäußert :D.
Zitat"They don't go, they fall forward and catch themselves" So in der Art hat sich schon mal jmd zum Thema Haltungsfehler in den westliche Industrienationen geäußert Cheesy.
Ja. Nur machen es die Schieber genau umgekehrt. Sie laufen mit eisernen Genitalien einem unsichtbaren Magneten nach. :-D Ich kann nur raten, welcher Haltungsfehler weniger schlimm ist...
Becken voran ist gar nicht so übel. Weil es der natürlichen doppelten S - Krümmung der Wirbelsäule entgegenkommt und den Organen im Bauchraum den nötigen Platz lässt. Nur sollte man die Arme nicht hängen lassen, keinen Buckel machen und auch ansonsten einen geraden Rücken forcieren. Im Kampf ist das dann eh dynamisch. Ich habe mal fix drei der Hauptaspekte rausgepickt:
1.) Will ich körperlich imponieren oder eher tief stabeln? (Finten, Tricks und Täuschung)
2.) Bin ich im Vor oder im Nach?(taktische Anforderungen)
3.) Muss ich Defizite im Stand oder oder beim Schritt, durch Höhe und Position der Hüfte korrigieren? (Beinarbeit, technisches Vermögen)
....
Ein Beispiel: Habe ich gerade eine tiefe Parade vollzogen und das Vor errungen, stehe ich vermutlich leicht abgesenkt und könnte mit einem geraden Stoß, von unten nach oben durch den Bauchraum antworten. Ich drücke demnach meine Klinge mit dem hinteren Knie UND der Hüftbewegung in den Stoß und pointiere mit dem Stoßarm die gewählte Kraftlinie. Die Veränderung der Position kann man als Kraftspeicher nutzen.
CCJ